Die legendäre algerische „Großmutter des Raï“ – live beim Festival „Women in (E)Motion“ am 21. März 1998 im Bremer Kulturzentrum Schlachthof. Begleitet von einem fünfköpfigen Ensemble, untermauerte die Mittsiebzigerin Remitti an diesem Abend eindrucksvoll ihre historische Bedeutung und zeitgenössische Größe. Zwischen algerischer Tradition und modernistischer Erneuerung des Raï, war Cheikha Remitti zu diesem Zeitpunkt mehr als nur eine Vermittlerin. Sie war die furchtlose Verkörperung eines unbeugsamen rebellischen Geistes und ein Garant für intensive künstlerische Leidenschaft. Ein hypnotischer Konzertmitschnitt, der von der Kritik begeistert kommentiert wurde. Mit einer Künstlerin, die auch nach ihrem Tod 2006 verehrt wird als eine große Stimme der nordafrikanischen Musik.
“Es ist etwas sehr Mächtiges, dass ich nicht wirklich erklären kann. Wenn ich auf der Bühne bin, dann betrüge ich nicht. Ich gebe alles was ich habe, in meiner Seele und in meinem Geist.“ Cheikha Remitti, 2000
Cheikha Remitti war zum Zeitpunkt ihres mit Spannung erwarteten Bremer Konzertes im März 1998 fünfundsiebzig Jahre alt. Die algerische „Großmutter des Raï“ war im Zuge des Raï-Booms der achtziger Jahre wiederentdeckt worden. Als wesentliche Inspirationsquelle für junge Hitlieferanten wie Khaled, als originäre Stimme einer Musik, die vieles in sich vereinte: aufrechten Stolz, rebellischen Geist, pulsierende Energie, eine raue Sprache, Lebensfreude und Leidenschaft. Cheikha Remitti war echt und das Publikum spürte es. Die Kritik sprach von einem „überragenden, mitreißenden Konzert mit einer grandiosen Cheikha Remitti.“ (Weser-Kurier, 24.3.1998).
Die alte Dame aus Algerien war Teil des Festivalprogramms von „Women In (E)Motion“ und versetzte die Konzertbesucher mit ihrem fünfköpfigen Ensemble in einen trance-ähnlichen Zustand. Man erlebte eine Magierin. Was Bessie Smith für den Blues sei, das sei Remitti für den Raï, den Blues Algeriens, so hatten Kritiker geschrieben. Nun konnte man auch in Deutschland erleben, was es mit dem Mythos auf sich hatte. Nur wenige Jahre zuvor hatte Cheikha Remitti mit einem heute legendären Auftritt im französischen Institut du Monde Arabe de Paris die offiziellen Weihen der arabischen Musikwelt empfangen – nach vielen Jahren des Außenseitertums. Remitti war stolz und furchtlos. Sie sang von den eigenen Leidenschaften — eine unverblümte Bejahung des Lebens.
Musikalisch blieb Cheikha Remitti zunächst dem traditionellem Instrumentarium und Stil treu. Zum Zeitpunkt ihres Bremer Konzertes jedoch hatte sie ihren „Trance-Raï“ durch das Hinzufügen eines Keyboarders und Bassisten modernen Hörerwartungen angepasst. Das „call and response“ von Stimme und Keyboard schwebte nun über einem ständig treibenden Rhythmus mit tiefem Bass-Fundament. Es war die wütende Reaktion der Künstlerin auf den kreativen Diebstahl durch den Nachwuchs: Khaled und Co. hatten sich bei ihrem Repertoire bedient, ohne es ihr gutzuschreiben. Nun wollte sie den jungen Emporkömmlingen mit ihren eigenen Mitteln begegnen. „Ich habe immer über die einfachen Probleme des Lebens gesungen“, sagte Remitti im Jahr 2000, „über die sozialen Probleme und über Rebellion. Es geht immer um das Beobachten und das Reflektieren. Raï war immer eine Musik der Rebellion, eine Musik, die nach vorne schaut.“ Cheikha Remitti starb am 15. Mai 2006 im Alter von 83 Jahren. Sie ging in die Geschichte der arabischen Musik ein als Inkarnation der lange verloren geglaubten Lebenslust der Menschen ihres Landes. Dieses Live-Dokument aus Deutschland setzt ihr ein weiteres Denkmal