Cheikha Remitti hatte schon als junge Frau ein Leben hinter sich, das es mit den härtesten Biographien aus Blues und Jazz hätte aufnehmen können. Als Frühwaise machte Saadia El Ghizadia Bekanntschaft mit Armut, Hunger und Einsamkeit. Sie arbeite als Haushaltshilfe, schlug sich als Wandermusikerin durch, und wurde zu einer durch die Härten des Lebens gestählten Person. Schon früh begann sie, fantasievoll und mit derber Sprache, Texte zu improvisieren und zu singen. Verse vom alltäglichen Überlebenskampf, von sinnlichen Freuden, Freundschaft, den Leiden durch Exil und Krieg. Ihre Sprache war ganz direkt, ehrlich und unverblümt. Der Raï von Remitti reflektierte die algerische Alltagskultur „von unten“. In einem umgangssprachlichen Idiom aus dem Westen des Landes, verständlich vor allem für die einfachen Menschen. Diese liebten die Sängerin, denn sie gab ihnen eine Stimme.
Wahrscheinlich hörte Cheikha Remitti schon früh die ländliche Folklore der Berber, später urbanisiert durch die Sanges-Troubadoure des Landes, die „Cheikhs“. Ein Ehrentitel, den sich auch Remitti im Laufe der 1940er Jahre erwarb. Ihren „Nachnamen“ erwarb sie sich der Legende nach in einer Bar, wo die Algerierin auf das Singen des französischen Schlagers „Remettez panaché madame, remettez“ zurückgriff, um das Getränk ihrer Wahl zu bekommen. Aus „remettez“ wurde „Remitti“. Die Sängerin wurde zu einer heimlichen Institution, denn sie war die erste, die in Algerien öffentlich über Sinnesfreuden sang und damit gegen den traditionell-religiösen Moralismus der postkolonialen algerischen Gesellschaft. Sie bekam Auftrittsverbote und konnte nur noch in privatem Rahmen auftreten, vorwiegend bei Hochzeiten. Remitti verließ schließlich in den sechziger Jahren ihr Land und ging nach Frankreich, wo sie vorwiegend für das exilalgerische Publikum sang. Erst später erinnerte man sich auch in Algerien wieder an „la mamie du raï“.
Cheikha Remitti wurde im kollektiven Bewusstsein der Maghreb-Bewohner zu einer Legende. Zu einer Art Visionärin, deren harte Vokal-Attacken den rebellischen Geist einer Unbeugsamen kommunizierten. Die beeindruckende Erscheinung Remitti kommentierte die psychologischen Foltern des algerischen Alltags mit scharfer Zunge und lieferte damit ein überlebenswichtiges Statement für die vielen Unterprivilegierten der Gesellschaft. Dass die Sängerin in den 1970er Jahren eine Pilgerfahrt nach Mekka unternahm und ihren eigenen, rauen, Lebensstil entschärfte, änderte nichts an der lebensnahen Thematik ihrer Musik.
Cheikha Remitti starb am 15. Mai 2006 im Alter von 83 Jahren. Sie ging in die Geschichte der arabischen Musik ein als Inkarnation der lange verloren geglaubten Lebenslust der Menschen ihres Landes.