Der Live-Mitschnitt eines rauschenden Tango-Abends im berühmten Sendesaal von Radio Bremen. Mit einer leidenschaftlichen „Homage an Astor Piazzolla“ feierte das wunderbare Sexteto Major um die beiden Bandoneon-Virtuosen José Libertella und Luis Stázo sein dreißigjähriges Bühnenjubiläum und bot dabei ein handverlesenes Repertoire aus einem knappen Jahrhundert argentinischer Tango-Geschichte. Zeitlose Musik für die Ewigkeit in meisterlichen Interpretationen.
Tango – das ist bekanntlich mehr als „nur“ ein Klang. Die Kultur des Tangos vereint heute auch in Europa Musik, Wort und Tanz zu einem poetischen Lebensgefühl, in dem sich ein musikalisches und sozialgeschichtliches Phänomen vermittelt. Ein fürwahr weiter Weg von den bescheidenen und anrüchigen Anfängen des Tangos im Argentinien des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Heute sind weltweit sicherlich mehr Menschen als jemals zuvor der Faszination des Tangos erlegen. Eine schier unüberschaubare Anzahl von Tango-Liebhabern und Tango-Aktivitäten gibt es rund um den Globus. Eine ganz offenbar einzigartige Magie scheint hier zu wirken und ein Ende ist – anders als in der Vergangenheit – keinesfalls in Sicht.
Die Mitglieder des Sexteto Mayor sind seit mehr als dreißig Jahren in aller Welt geschätzte Botschafter der Musik aus Argentinien. Mit den großen Shows „Tango Argentino“ und „Tango Pasión“ haben sie den Globus bereist und sind im Laufe ihrer Geschichte zu einem der weltweit anerkanntesten Tango-Ensembles im traditionellen Stil geworden – besetzungstechnisch ein sexteto típica alten Zuschnitts (zwei Bandoneons, zwei Violinen, Piano und Kontrabass), mit Zugriff auf die ganze Repertoirevielfalt der Vergangenheit und Gegenwart. Mit einer programmatisch hervorragend durchdachten „Hommage an Astor Piazzolla“ feierte das Ensemble im Jahr 2003 sein dreißigjähriges Bühnenjubiläum. Daneben aber auch – ganz unabhängig von Daten und Fakten – die einzigartige emotionale Kraft einer Musik, die von Astor Piazzolla in den fünfziger Jahren auf fulminante Art und Weise revolutioniert wurde. Erst nach langen Jahren der Anfeindung in seiner Heimat und langem kreativen Kampf mit ideologisch verbrämten Traditionalisten fanden die auch von klassischen Kompositionstechniken beeinflussten Werke Piazzollas Einlass in die Konzerthäuser. Heute sind sie aus den klassischen Konzertprogrammen westlicher Metropolen nicht mehr wegzudenken. Piazzolla ist und bleibt der Erneuerer des Tango schlechthin.
An einem kalten Februarabend präsentierten das Sexteto Mayor auch im Sendesaal von Radio Bremen diese „Hommage an Piazzolla“ und das vor ausverkauftem Hause und mit einem historisch bedeutsamen Repertoire. Im ersten Teil des Konzertes („Der Weg zu Piazzolla“) illustrierten die Musiker um die Bandoneon-Legenden José Libertella und Luis Stázo die argentinische Musik der Vor-Piazzolla-Dekaden mit einer Auswahl von Tangos, Milongas und Walzern. Z.B. mit einem Medley aus tango cançions von Gardel und Kompositionen von Canaro, Plaza und Maderna. Ein Kaleidoskop der Tango-Vergangenheit von der guardia vieja der vorletzten Jahrhundertwende hin zur guardia nueva der zwanziger Jahre und dem „Goldenen Zeitalter“ der vierziger und fünfziger Jahre. Mit unvergleichlichem Esprit und souveräner instrumentaler Meisterschaft wurde dem völlig begeisterten Bremer Publikum eine mehr als nur nostalgische Reise in die Annalen des Tango präsentiert.
Sexteto Mayor erzählen dazu in gewisser Weise auch den musikalischen Lebenslauf Astor Piazzollas: von den prägenden Jugendjahren in New York, in denen Vater noniño die Stimme von Carlos Gardel in das Leben seines Sohnes trägt, den prägenden Einflüssen von Komponisten wie Cobián und Maderna oder den interpretatorischen Leistungen des Orchesters von Anibal Troilo. Eine Künstlerbiographie in Tönen oder auch eine individuelle musikalische Sozialisation als lebendige Musikgeschichte. Viele Namen der Tango-Geschichte durchziehen das Leben und das Werk von Piazzolla. Sexteto Mayor bebildern hier mit ihren Interpretationen den Weg des Komponisten aus der Tradition hin zu den innovativen Errungenschaften des tango nuevo.
Der zweite Teil des Konzertes ist ganz dem Werk Astor Piazzollas gewidmet. Das Sexteto Mayor mach dabei deutlich, wie virtuos der Komponist die breite Gefühlspalette des alten Tango mit seiner auf Innovation ausgerichteten Komponisten-Persönlichkeit verflechten konnte. Weltberühmte Klassiker wie „Libertango“ und komplexere Meisterwerke wie „Fuga y mysterio / Tangata“ stehen dabei Seite an Seite. Ein furioses Feuerwerk in konzertantem Rahmen – dennoch geprägt von unmittelbarer Sinnlichkeit und einer lebensnahen Aura. „Tango ist unser Leben und unser Leben ist Tango“ – mit diesen einfachen Worten bringen die altgedienten Bandoneon-Meister des Ensembles José Libertella († 8. Dezember 2004) und Luis Stázo ihre (Lebens-)Philosophie auf den Punkt.