Auf ihrem zweiten Album setzt die slowakische Sängerin und Songautorin ihren musikalischen Weg konsequent fort. Kurze Songs und lautmalerische Preziosen in spartanischen Arrangements, gesungen von einer außergewöhnlichen Stimme. Basierend auf einer tief empfundenen Liebe zur Natur, blickt Suí Vesan tief in das eigene Unterbewußtsein. Das musikalische Ergebnis ist betörend und geprägt von der authentischen Emotionalität dieser Künstlerin. Akustische Musik jenseits aller Folk-Kategorien und atmosphärisch von geradezu mystischer Anmutung. Ein Zusammentreffen von kindlich anmutender Naivität mit erwachsener Gefühlstiefe in Musik, bisweilen vorgetragen in der lautmalerischen Fantasiesprache tatlanina. Ein eindringlicher Appell an Gefühl und Fantasie des Hörers – im Namen der grenzenlosen Kraft musikalischer Kommunikation
Inarticulate Speech of the Heart – die „undeutliche Sprache des Herzens“. So benannte der irische Sänger Van Morrison ein Album seiner „mystischen Phase“ in den frühen achtziger Jahren. So oder ähnlich hätte auch Suí Vesan ihr zweites Album nennen können, denn auch die slowakische Sängerin und Songschreiberin ist eine Mystikerin. MERGING WITH THE BROOK – „mit dem Bach verschmelzen“. Suí Vesan findet mit voller Überzeugung ihre künstlerische Motivation im Erlebnis sinnlicher Naturerfahrung – im Rauschen eines Wasserfalls oder dem Rascheln gefallener Laubblätter in den Händen. Eine Bejahung des Lebens und persönliche Erfüllung gleichermaßen. Das ist der spirituelle Kern des leidenschaftlichen Engagements dieser osteuropäischen Künstlerin für die Musik.
Das ist insofern bemerkenswert, als die persönliche Vergangenheit dieser Sängerin und Musikerin lange Jahre geprägt war von einer anstrengenden Suche nach individuellem Ausdruck. Nachdem Suí Vesan (mit bürgerlichem Namen Jana Vesan) als Kind vorwiegend die ideologisch erwünschten russischen Lieder in Chören singen mußte, wurde eine Reise nach Syrien zu einer lebensverändernden Erfahrung. Sie hörte den Gesang der Muezzine – und neue Welten taten sich auf. Die damals 14jährige Suí hatte bis dato noch nicht einmal die Beatles gehört und war popmusikalisch eine absolute Novizin. – unverdorben, wenn man so will… Die mit ihrem Vater unternommene arabische Reise veränderte Suí auf eine für sie selbst zunächst noch unverständliche Art und Weise. Dazu entdeckte sie die mystische Literatur Indiens und eine weitere faszinierende Welt jenseits ihrer eigenen Lebensrealität tat sich auf. Suí Vesan wurde zu einer Naturmystikerin und sah plötzlich mit Augen, die den Himmel lächeln sahen. So umschreibt sie selbst diese persönliche Veränderung.
Die realsozialistische Welt der Tschechoslowakei hatte jedoch keinen Platz für solcherlei schwärmerisches Abweichlertum. Man drehte ihr bei ersten Konzertauftritten bisweilen das Mikrofon ab, selbst bei harmlosen Zeilen wie: „Wenn wir nur wollten, könnten wir uns alle besser verstehen“. Suí Vesan war zu dieser Zeit die junge Sängerin einer Band, dazu spielte sie Flöte und Gitarre. Gleichzeitig ging sie einer Tätigkeit als Grundschullehrerin nach, heiratete und bekam Kinder. Die Zeit war noch nicht reif. Suí beendete ihre musikalischen Aktivitäten, widmete sich ihrer Familie und sang elf Jahre lang keinen Ton in der Öffentlichkeit. Sie suchte nach DEM eigenen Ausdruck. Die ganz persönliche „undeutliche Sprache des Herzens“ war das Ziel.
Das Resultat ihrer elfjährigen Suche war „Tatlanina“: eine Art Fantasiesprache von onomatopoetischem Charakter. Lautmalerisch, fantasievoll und direkt aus dem Herzen. „Ich fing damit bereits als Teenager an,“ sagt Suí Vesan heute, „doch ich schämte mich zunächst. Später kamen die Laute und Worte dann ganz natürlich und frei. Es war zunächst nicht beabsichtigt, das auch in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich habe so nur für mich gesungen – wenn niemand zuhörte. Jeder sollte seine eigene Sprache haben, mit der er seine Gefühle auf direktem Wege ausdrücken kann. Ich singe ‚Tatlanina‘ meistens mit geschlossenen Augen irgendwo auf dem Lande, an Orten mit guter Akustik.“
Suí Vesans Mut, ihre individuelle Kunst und ihre Stimme doch in die Öffentlichkeit zu bringen, wurde durch eine glückliche Fügung plötzlich und unerwartet belohnt. Der einflußreiche BBC-DJ Charlie Gillett hörte ihr Debut-Album „Sui“ und zeigte sich begeistert von dem was er hörte. Eine neue Stimme mit Anklängen an die berühmten bulgarischen Stimmen, mit ganz eigenem Ausdruck. Gilletts erster Eindruck sprach vielen begeisterten BBC-Hörern aus der Seele und der Brite konnte sich über eine Flut von Anfragen freuen. „Ihre Musik ist zwar melodiös, doch nicht nur schön,“ so Gillett, „Suí Vesan legt kraftvolle Emotionen in ihre Songs und es klingt, als sei in ihr etwas Mächtiges, das unbedingt heraus muss.“
Gleiches gilt für dieses Nachfolgewerk MERGING WITH THE BROOK. Auch hier findet man Musik von faszinierender Fremdartigkeit, in der zwar ein slawisches Timbre und die mannigfaltigen Rhythmen der osteuropäischer Folktradition vernehmbar sind, diese verbinden sich aber mit eigenständigen und geradezu mysteriös anmutenden Kompositions- und Improvisationskonzepten. Eine Musik von verspielter Strenge, mit Stimme, Gitarre, Flöte, Kalimba und Percussion in spartanische Arrangementsgekleidet und Welten entfernt von vielen kommerzialisierten Musikprodukten des Westens. Eine Paarung von kindlich anmutender Naivität mit erwachsener Gefühlstiefe. Suí Vesan ist einmalig – mit offenen Ohren muß man zu diesem Entschluß kommen. Ihre Musik besitzt Kraft, Humor und Leidenschaft, denn es zählt vor allem die kommunikative Kraft der Töne jenseits sprachlicher Konkretheit: „Worte sind zwar wichtig, aber nicht so wichtig wie die Musik selbst. Musik bringt die Menschen zusammen. Wir verstehen einander vielleicht nicht, doch wenn man die Musik eines anderen hört, weiß man sofort über ihn Bescheid. Die schönste Musik malt Bilder.“