Ihre aktuelle Studioproduktion zeigt die wunderbare Song-Stilistin aus Kanada auf der absoluten Höhe ihrer Kunst. Ähnlich den großen Interpreten der prä-Rockära versteht es auch Holly Cole meisterlich, Vorlagen aus den unterschiedlichsten Sparten mit ihrer individuellen Jazz- und Pop-Sensibilität auszustatten und sich so ihre Vorlagen völlig zu eigen zu machen. Sie liefert dabei Vorzeigebeispiele für große und zeitgemäße Interpretationskunst. Zu hören ist zeitloses Songmaterial von Paul Simon und Randy Newman bis hin zu Cole Porter, dargeboten von einer der großen Stimmen der Gegenwart.
„Ich achte immer auf die Essenz der Songs“, sinniert Holly Cole. „Wenn die Lyrics gut sind, nehme ich gern zunächst das Tempo heraus und erkunde den Song. Ich seziere und dekonstruiere ihn sozusagen. Ich liebe es, Songs auseinander zu nehmen, um sie dann in einem ganz neuen Sinn wieder zusammenzufügen. Während dieses Prozesses scheinen Songs oft dunkler zu werden. Das ist wohl ein wesentlicher Teil meiner Kunst, ein großer Teil meiner Arbeit.“
Die altehrwürdige Kunstform auf die Holly Cole sich mit diesen Worten bezieht ist natürlich die Kunst der Interpretation. Denn in der Pop- und Jazz-Gesangswelt der prä-Rock Ära schrieben Vokalisten nur sehr selten ihr eigenes Material. Sie konzentrierten sich statt dessen auf die Entwicklung ihrer interpretativen Fähigkeiten. Einer Kunst, in der es um die Entwicklung feiner Nuancen aus Timing, Timbre und Phrasierung ging – mit dem Ziel zum emotionalen Kern des Materials vorzustoßen. Diese längst vergangene Epoche schenkte uns so fesselnde, vielseitige und einzigartige Song-Stilisten wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan. Keine dieser großen Stimmen pflegte sich mit Mittelmäßigkeit zu begnügen. Als Konsequenz sah man sich also auch nicht gezwungen, eigenes Material zu schreiben. Man verließ sich statt dessen auf die große Kunst von Autoren wie Cole Porter, Johnny Mercer, Harold Arlen, Sammy Cahn und James Van Heusen.
Holly Cole hat in den vergangen elf Jahren einige wesentliche Teile dieses Repertoires auch für sich selbst reklamiert. Im November 1989 erschien ihre erste selbstproduzierte EP CHRISTMAS BLUES und seitdem hat Cole eine Karriere entworfen, die fünf Alben, die Mitwirkung an einer Anzahl von Anthologien, die bereits erwähnte EP sowie mehrere TV-Specials umfasste. Ihre Stimme und ihre Interpretationen stellen dabei sicherlich einen der schönsten und attraktivsten Teile der zeitgenössischen Pop-Gesangskunst dar.
Holly Coles neues Album mit dem Titel ROMANTICALLY HELPLESS ist ihre bislang beeindruckendste Leistung und zeigt diese ungewöhnlich vielseitig begabte Sängerin auf der absoluten Höhe ihrer Interpretationskunst. Konzipiert in einer Zusammenarbeit mit dem Grammy-dekorierten Produzenten Steve Ferrera, besteht das Repertoire auf ROMANTICALLY HELPLESS aus einer Zusammenführung von Tin Pan Alley-Klassikern wie „Come Fly With Me“, „Don‘t Fence Me In“ und „That Old Black Magic“ mit Songjuwelen einiger der besten zeitgenössischen Songwriter wie Randy Newman („Ghosts“, „Same Girl“), Paul Simon („One Trick Pony“), Laura Harding („If I Start To Cry“, „Make It Go Away“) sowie Hollys langjährigen Bandkollegen David Piltch („Romantically Helpless“, „I‘ll Be Here“) und Aaron Davis („Make It Go Away“).
Die Qualitäten dieses Albums beeindrucken sofort. Zunächst ist ROMANTICALLY HELPLESS ein klanglich überaus reichhaltiges Werk. Die Arrangements sind erfinderisch, die Songauswahl einfallsreich und Holly Cole singt schlicht meisterlich. Sie selbst schreibt einen Großteil dieses kreativen Erfolgs der erfolgreichen Zusammenarbeit mit Produzent Steve Ferrera zu. Ursprünglich traf man sich auf Veranlassung von Ferrera. Der Produzent war an Cole herangetreten, um sie zu überzeugen für einen Film-Soundtrack drei ältere Songklassiker neu zu interpretieren: Frank Sinatras „Come Fly With Me“, Bing Crosbys „Dont Fence Me In“ und Stephen Sondheims „Loving You“ aus dem Broadwaystück Passion. Ironischerweise landete letztlich keiner der drei Songs in diesem Film, doch waren beide Seiten von der Zusammenarbeit so begeistert, dass man beschloss weiter für ein neues Album von Holly Cole selbst zusammen zu arbeiten. Die Masters der drei Songs wurden zur ersten fertiggestellten Arbeit für ROMANTICALLY HELPLESS. „Ich liebte es mit Steve zu arbeiten,“ so Holly Cole enthusiastisch, „ich liebte es sogar unglaublich!“ Er verstand mein Konzept und meine Herangehensweise von Anfang an. Noch nie zuvor hatte ich eine solch perfekte und harmonische, fast organische Arbeitserfahrung mit einem Produzenten.“
Steve Ferrera, der zuvor schon mit so unterschiedlichen Künstlern wie Suzanne Vega, Jeff Beck, Julian Cope und Ravi Shankar gearbeitet hatte, scheint genauso versessen auf Holly zu sein wie sie auf ihn. „Sie phrasiert wie eine Bläserstimme,“ betont er, „und steht damit völlig in der großen Gesangstradition von Stimmen wie Sinatra oder Nat Cole, die immer Instrumentalisten als Vorbilder für ihre Phrasierungskünste hatten. Das fiel mir sofort auf als ich Holly hörte.. Viele andere Jazzsänger haben auch eine großartige Phrasierung, aber vernachlässigen dafür das Gefühl für die Texte. Die ganz großen Interpreten – wie Holly – gestalten zwar den Song auch wie ein Instrumentalist, doch sie verlieren dabei niemals den Faden der Story aus dem Auge. Sie verlieren niemals den Sinn für die Stimmung und den Ausdrucksgehalt der Worte.“
Abweichend vom normalen Aufnahmeverfahren bei dem die backing tracks der Band vor den Gesangsspuren festgehalten werden, entschied sich Ferrera klugerweise dafür, das gesamte Album von Grund auf um die Stimme von Holly Cole herum wie ein Bauwerk zu errichten. Zu diesem Zweck ließ er sie zunächst einige Songs a cappella aufnehmen und entwickelte dann die Arrangements auf der Basis der Text-Interpretationen durch die Sängerin. „So konnte sie sich ganz den Worten und den Geschichten der Songs widmen, ohne von Akkordwechseln oder den Grooves des Drummers beeinflusst zu werden. Sie konnte nur für sich selbst in die Songs einsteigen und ihre Interpretation finden.“
Die Höhepunkte auf ROMANTICALLY HELPLESS sind zahlreich. Zum Beispiel „Dedicated To The One I Love“, ein R & B- und Pop-Hit sowohl für die Five Royales als auch die Mamas & Papas. Das allseits bekannte Song-Kleinod wird hier radikal verlangsamt und mit einer swampy Slidegitarre mit dem Blues infiziert. Pianist Aaron Davis spielt dabei übrigens nicht auf den Tasten sondern kümmert sich um die Saiten in seinem Instrument… Darüber liebkost Holly mit sinnlich schleppender Stimme die Melodie des Songs. So wird aus einem ursprünglich unschuldigen Lobgesang auf eine idealisierte Form romantischer Liebe eine ziemlich unheimliche Geschichte – vielleicht über einen ungebetenen Verehrer? Oder nehmen wir „One Trick Pony“ von Paul Simon. Auch bei diesem Song werden durch Hollys Interpretation Bedeutungsebenen freigelegt, über deren Existenz sich vielleicht nicht einmal der Autor selbst im Klaren ist. Der Text von David Piltchs Song „Romantically Helpless“ besteht hingegen<img src=“bilder/Holly_Cole_3_72.jpg“align=“right“vspace=“3″> komplett aus authentischen Zeilen von Kontaktanzeigen. Holly Cole singt diesen etwas sonderbaren Text auf ironische Art, gleichzeitig ruft die Musik eine Bossa Nova-Stimmung und den Stevie Wonder der frühen siebziger Jahre in Erinnerung. Das musikalische Ergebnis unter dem Strich ist bei allen diesen Songs sehr einnehmend. Laura Hardings Stück „If I Start to Cry“ ist im übrigen hitverdächtig. Holly Cole phrasiert die erste Strophe wie es auch eine Joni Mitchell machen könnte – bevor der Song mit seinem Refrain in ein zeitloses und gleichzeitig hymnisches Stück Popmusik explodiert.
Ein mutiger Schritt auch die Neuaufnahme von „Make It Go Away.“ Dieser ebenfalls von Laura Harding und Pianist Aaron Davis geschriebene Song war bereits auf dem Vorgängeralbum DARK DEAR HEART enthalten, nahm jedoch im Verlauf vieler Liveinterpretationen eine neue Gestalt und eine für Holly Cole tiefere Bedeutung an. Viele Nuancen der Wortbedeutung hatten sich für sie sehr verändert und dieser Entwicklungsprozess findet seinen Niederschlag in einer neuen, bewegenden Interpretation.
Understatement und Zurückhaltung das ist letztlich der Schlüssel zum Verständnis für Holly Coles stimmliche Herangehensweise an ihr Material auf diesem neuen Album. Sie selbst betrachtet eine solche Ästhetik als das beste Mittel um an die bereits erwähnten verdeckten Bedeutungsebenen der Songtexte heranzukommen. „Erst wenn es mir gelingt durch die suggestive Kraft von Andeutungen, durch Understatement, durch das Entdecken verborgener Bedeutungen etwas über mich selbst herauszufinden und später auch meinem Publikum dadurch etwas über sich selbst zu vermitteln erst dann ist mein Job als Künstlerin getan.“ So äußert sich eine recht selten gewordene Sensibilität mit hoch gestecktem künstlerischen Anspruch. Es ist natürlich die bereits gepriesene klassische Sensibilität des erfahrenen Interpreten zeitloser Songs. Die mit dieser leidenschaftlichen Haltung für ROMANTICALLY HELPLESS entstandene Musik ist ein kostbarer Schatz.
Holly Cole ist in ihrem Heimatland Kanada sowie in Japan bereits ein Star. Sie war auch mit großem Erfolg in den USA und Europa unterwegs. Mit ROMANTICALLY HELPLESS wird sie sicherlich ein noch größeres Publikum gewinnen – ein Publikum mit hoffentlich weit offenen Ohren und Augen. Holly Cole und ihre Band haben es verdient. Denn sie schenken uns hier eine außergewöhnlich reiche und vielseitige Musik von großer Tiefe. Ein Juwel im Meer des zeitgenössischen Klangwirrwarrs.