SHADE präsentiert Holly Cole als souveräne Interpretin von Pop- und Jazzstandards. Sommer und Herbst, Licht und Schatten finden auf diesem Album auf eine Art zusammen, die die Kanaderin erneut als führende Song-Stilistin ausweist. Erstmalig produziert von Cole selbst, wurde das Album eingespielt mit einer kleinen Crew bewährter Freunde um ihren langjährigen Pianisten Aaron Davis. Das Kaleidoskop der Songkunst reicht dabei von Cole Porter bis Brian Wilson. Holly Cole wird von Album zu Album reifer. SHADE ist sinnlich und intim, leidenschaftlich und humorvoll, warm und intelligent. Holly Cole – eine Ausnahmeerscheinung am Firmament der Song-Interpretinnen zwischen Jazz und Pop.
„In musikalischer Hinsicht gibt es heute immer noch viele großartige Songs, in textlicher Hinsicht nur noch selten. Doch für mich sind die Texte immer genauso wichtig wie die Musik. Ich kann keinen Song überzeugend singen ohne hinter dem Text zu stehen. Dann gibt es auch jene Songs, bei denen ich denke — ein brillanter Text, ein brillanter Song, trotzdem nichts für mich. Ich muss also immer einen persönlichen Zugang finden. Es muss diese spezielle Qualität geben, die mir den Song fast aufzwingt. Ich suche oft nach einem möglichen Subtext, nach einer Bedeutung, die zusätzlich zum Text existiert und die Interpretation dieses Songs für mich zu einer fesselnden Herausforderung macht.“
Holly Cole, 2003
Ein neues Studioalbum von Holly Cole ist da – SHADE hat sie es genannt. Es ist ein Album mit zeitlosen Songs zwischen Sommerlicht und Herbstmelancholie, wobei Schatten bekanntlich nicht ohne Licht existieren kann. Auch nicht in den speziellen Songwelten, die Holly Cole ihr kreatives Zuhause nennt. Die Sängerin aus Toronto kehrt zurück in die Welt der Jazz- und Popstandards und präsentiert mit SHADE ein Album wie aus einem Guss. Es ist das Werk einer gereiften Künstlerin, bei der sich musikalische Leidenschaft und handwerkliches Können die Waage halten. Wer Holly Cole zuhört, der wird immer wieder erstaunt sein vom tiefen Verständnis und großen Respekt dieser Frau gegenüber „ihren“ Songs. Im Falle von SHADE ist es das Repertoire von Songautoren wie Cole Porter, Rodgers/Hammerstein, Loewe/Lerner oder Brian Wilson. Es sind Songwriter, deren Werk mühelos die Zeit überdauert. Diese Art musikalischer Größe und Zeitlosigkeit scheinen Holly Cole unwiderstehlich anzuziehen. Sie hat ein untrügliches Gespür für die Qualität, die einen Song über die reine Gegenständlichkeit erhebt und ihm bleibenden Wert verleiht.
Holly Cole stellt ihre Kunst in den Dienst, diese Zeitlosigkeit auf neue und erfrischende Art einem zeitgenössischen Publikum zu vermitteln. SHADE ist daher erneut eine mit viel Herzblut und Leidenschaft realisierte Arbeit aus dem Hause Cole geworden. Diesmal sogar noch mit zusätzlichem Einsatz, denn erstmalig produzierte Holly Cole ein Album eigenverantwortlich. Eine Aufgabe, die sie als Herausforderung begriff und die sie durchaus forderte: „Mir war vorher nicht unbedingt klar, was für eine große zusätzliche Aufgabe das Produzieren ist. Ich war zwar zuvor schon an Produktionsarbeit beteiligt, hatte aber bislang nicht die alleinige Verantwortung für ein komplettes Album. Früher verließ ich das Studio nach getaner Arbeit und alles lief auch ohne mich weiter. Diesmal hatte ich mehrere Jobs. Ich musste Fragen der Instrumentierung und der Kosten klären, zum Beispiel welche Studiozeit wir für die Streicher und Bläser benötigen würden. Es ist anders, wenn du selbst die Einzige bist, die du fragen kannst und jeder andere seine Fragen auch an dich stellt.“
Völlig auf sich selbst gestellt war Holly Cole natürlich auch bei SHADE nicht, denn immerhin fand sich hier ihr altes Trio mit Aaron Davis (Piano) und David Piltch (Bass) wieder zusammen. Dazu kamen verdiente Fachkräfte wie Kevin Breit (Gitarren), Mark Kelso (Drums) und George Koller (Bass) — ein bewährtes Team enger Freunde, deren Engagement weit über die Dienste herkömmlicher Studiocracks hinaus geht. In zwei Studios ging man zu Werk, auch in Holly‘s neuem Heimstudio. Dort sang sie fast alle Gesangstakes. Ein Umstand, der ihr die Arbeit erleichterte, denn auch eine meisterliche Interpretin wie Cole ist nicht an jedem Tag in Hochform: „In einem herkömmlichen Studio ist man arm dran, wenn die Stimme am gebuchten Tag nicht voll da ist. Zu Hause konnte ich mitten in der Nacht aufwachen, die Treppe runtergehen und aufnehmen. Meine Stimmung war dann oft genau richtig — eine fantastische neue Erfahrung.“
Trotz ihrer derzeitigen Fixierung auf Standards ist Holly Cole kein Fall für musikalische „Schubladendenker“ geworden. Die Songstilistin aus Kanada fällt nach wie vor in keine eindeutige Kategorie. Setzt man jedoch voraus, dass im Jazz die Art der Interpretation, also der individuelle Umgang mit dem thematischen Material, die Natur der Kunst dominiert, dann ist Holly Cole mit Arbeiten wie SHADE eine Jazz-Sängerin im Geiste. Sie entwirft individuelle Formen und neue emotionale Schattierungen für ihr Material, taucht völlig ein in die Welten ihrer Songs, macht sich das Material zu eigen, um es dann mit neuem Leben zu erfüllen. Holly Cole kennt dabei die Tradition des rein interpretativen Jazzgesangs genau und fühlt sich dieser verpflichtet. Dennoch lehnt sie das Etikett „Jazzsängerin“ ab: „Kategorien interessieren mich nicht. Ich bin sehr vom Jazz beeinflusst, aber meine Alben mischen Jazz mit anderen Stilen. Die Maschinerie des Business — Kritiker, Plattenfirmen, der Handel, das Radio — braucht diese Kategorien wohl, aber Musikhörer brauchen sie nicht. Ihnen ist es egal, wie man die Musik bezeichnet. Entweder etwas gefällt ihnen oder nicht.“
Mit jedem neuen Album wird Holly Cole besser. Ihre Stimme ist ein uneingeschränkter Genuss – verführerisch und sinnlich, offen und klug, humorvoll und einnehmend. Wer ihr begegnet, schwärmt von eben diesen Eigenschaften auch in der Persönlichkeit der Kanadierin. Die private und die Bühnenperson werden dann zu einer authentischen Einheit von großer Ausstrahlung und unwiderstehlichem Charme. Dazu ist sie eine gewissenhafte Arbeiterin mit einem Hang zum Perfektionismus. Auch auf SHADE liegt das Besondere in den Details. Kunstvolle Vokal-Phrasierungen, subtile Re-harmonisierungen, strukturelle Feinarbeit, Finesse und eine alles verbindende Persönlichkeit — das sind einige der Eigenschaften, mit denen sich die Kunst von Holly Cole vom Gros vieler anderer in ihrem Metier abhebt.
Wer den Weg von Holly Cole von ihren Anfängen in den Clubs von Toronto in den achtziger Jahren über ihre ersten Plattenerfolge bis hin zu ihrem heutigen Status als international bedeutende Interpretin verfolgt hat, der wird nicht umhin kommen, ihr eine wachsende künstlerische Reife zuzugestehen. Mit Individualität, Humor, Wärme, Intelligenz und einem gewissen Hang zu musikalischem Minimalismus schafft sie es auch auf SHADE, das Bild einer ambitionierten Persönlichkeit zu vermitteln. Ihre Themen sind dabei ebenso klassisch wie die Präsentation mit rein akustischer Combo, Streichern und Bläsern. Holly Cole singt über die Fallstricke der Romantik und über Angelegenheiten des Herzens. „Ich bin eine schamlose Romantikerin“, sagt sie, „Kein Zweifel, mir ist nicht zu helfen.“
„God Only Knows“ (Brian Wilson), „Something Cool“(William C. Barnes), „Too Darn Hot“(Cole Porter), „We Kiss In A Shadow“(Rodgers/Hammerstein), „It Never Entered My Mind“ (Rodgers/Hart), „Moonglow“(de Lange/Mills/Hudson) — das sind einige der Songperlen, die Holly Cole auf SHADE in neuem Licht präsentiert. Nach 46 Minuten und den letzten Tönen von „Lazy Afternoon“ ist jedoch noch nicht alles vorbei, denn ein abschließendes Geschenk ist noch auf dem Album versteckt: „Mad About The Boy“ heißt es und stammt aus der Feder von Noel Coward. Ein weiterer Song für die Ewigkeit, gesungen von einer außergewöhnlichen Stimme.