Hineingeboren in eine sehr musikalische Familie aus Halifax, Canada, wurde Holly Cole schon von Geburt an mit einer Flut stilistisch sehr vielfältiger Musik konfrontiert. Beide Eltern waren klassische Musiker, die Schulfreunde hörten Rock und Pop, keltische Klänge und Country waren gleichsam allgegenwärtig. In dieser Atmosphäre war das gemeinsame Singen so natürlich wie Fahrrad fahren. Coles Familie debattierte nach der Abendmahlzeit nicht über das angesagte TV-Programm sondern über das auszuwählende Gesangsrepertoire. Jedes Familienmitglied spielte Klavier und Hollys älterer Bruder machte sich nach dem High School-Abschluss unverzüglich auf den Weg nach Boston zum renommierten Berklee
College of Music.
Mit sechzehn traf Holly die kluge Entscheidung, sich einige Monate Auszeit zu genehmigen. Sie machte sich auf den Weg nach Boston, um Zeit mit ihrem Bruder zu verbringen. Acht Wochen lang wurde sie im Kreise der musikbegeisterten Berklee-Studenten mit den grundlegenden Aufnahmen jedes wichtigen Jazzinterpreten der Nachkriegszeit vertraut gemacht. Diese Erfahrung veränderte ihr Leben.
„Als ich zuerst Jazz hörte,“ erinnert sich Holly Cole, „hörte ich eine Musik, die harmonisch die reiche Komplexität und das hohe handwerkliche Niveau von klassischer Musik hatte. Aber Jazz hatte noch zusätzliche Qualitäten, die klassische Musik nicht aufzuweisen hatte. Improvisation, und vor allen Dingen war Jazz ungezogen, er kam von der dunklen Seite des Lebens. Mit sechzehn fand ich das unwiderstehlich. Jazz hatte alle richtigen Zutaten! Sängerinnen wie Sarah Vaughan, Billie Holiday, Anita O‘Day und Betty Carter zu hören, schockierte mich. Ihre Statements waren so persönlich und intim. Sie schienen eine völlige Kontrolle über ihre Kunst zu besitzen. Ich tauchte in diese Musik total ein.“
Bereits mit dem Umzug nach Toronto einige Jahre später war aus Holly Cole eine sich rasch entwickelnde Chanteuse geworden, die bald ihr eigenes Trio mit dem Bassisten David Piltch sowie dem superben Pianisten Aaron Davis etablieren konnte. Zwischen 1990 und 1993 nahm das Trio drei hervorragende Alben auf: GIRL TALK (1990), BLAME IT ON MY YOUTH (1992) und DONT SMOKE IN BED (1993). Obwohl alle drei Alben von Jazztradition <img src=“bilder/Holly_Cole_2_72.jpg“align=“right“vspace=“3″>durchtränkt waren, gab es bereits auf DONT SMOKE IN BED eine erhebende Version von Johnny Nashs „I Can See Clearly Now“ zu hören, ein erstes Beispiel für die zukünftig immer größere musikalische Bandbreite im Repertoire der Sängerin. Diese Tendenz wurde mit dem phänomenalen Album TEMPTATION von 1995 weiter bestätigt. Das Album enthielt ausschließlich Hollys Interpretationen von Songs des unvergleichlichen Tom Waits. Die nächste Veröffentlichung DARK DEAR HEART aus dem Winter 1997/98 brachte die zuvor entwickelten Elemente sinnvoll zusammen. Sich die Möglichkeiten eines größeren Ensembles zunutze machend, kehrte die zu einer außergewöhnlichen Sängerin gereifte Kanadierin das Innerste von Popklassikern wie Joni Mitchells Song „River“ oder das Beatles-Stück „I‘ve Just Seen A Face“ komplett nach außen. Holly Cole legte mit ihren Interpretationen praktisch neue Schichten in den Texten dieser berühmten Stücke frei und machte sie dabei gleichzeitig zu ihren Songs. „I‘ve Just Seen A Face“ wurde zu ihrem ersten echten Radiohit.
Die Verlagerung ihres Repertoires war nahezu organisch erfolgt. „Ich wuchs künstlerisch und wandelte mich,“ erklärt Holly Cole. „Ich entschied mich für die Erkundung weiterer Wege meiner Musikalität, vor allem der Musik meiner Jugendzeit.“ Mit mittlerweile erstaunlich großer Reife begann Holly Cole damit, dem Popmaterial ihre Jazzsensibilität einzuimpfen und umgekehrt ihr Jazzrepertoire mit ihrem individuellen Pop-Appeal zu versehen. Sie kam mit diesem Ansatz zu außerordentlich inspirierten Ergebnissen. „Es ist das Ehrlichste was ich tun kann,“ so Holly abschließend. „Ich kenne und liebe Jazz. Ich kenne und liebe Popmusik. Beide sind mir wichtig und gleichberechtigter Teil meiner Musikalität.“
Fotograf: Jonathan Warden
Fotograf: Andrew MacNaughtan